31. Dezember 2012

Nicht da sein.

Nichts bleibt. Beinahe alles verliert an Bedeutung. Nichts bedeutet dir so viel wie die Vergangenheit. Deine Zukunft ist formlos. Plötzlich diese Leere in deinem Gesicht. Die Lachfalten, die dein Gesicht geziert haben, lassen dich plötzlich nur noch alt erscheinen. Die vielen schönen Gespräche sind verstummt. Nur noch das Schweigen im Raum. Schmerzliches Schweigen. Anfangs konnte Musik dieses Schweigen brechen. Du singst. Verlierst dich im Text. Und schweigst wieder. Es ist nicht mehr viel von dir da. Du entgleitest immer mehr. Bis zum Ende. Und zum Schluss zeigtest du noch einmal all deine Liebe. Deine Schönheit. Dein Lachen. Deine Weisheit. Die Zufriedenheit. Dein unerschütterliches Wesen. Die Dankbarkeit. All diese Dinge erfüllten den Raum. Für einen Moment. Bis sie für immer erloschen sind. Du fehlst.

29. Dezember 2012

Unwiderruflich sein.

Sie warten. Und ihr Warten wird ein Ende nehmen. Ihr Recht auf Leben wird unwiderruflich ausgelöscht. Doch nichts wird sich ändern. Ein Leben endet, aber kein Verbrechen wird damit verhindert. Wenn auf Verletzungen der Menschenrechte mit Verletzungen der Menschenrechte geantwortet wird, ist fraglich, ob die richtigen Fragen gestellt werden.
Eine Mutter weint um ihren Sohn. Nichts in ihrem Leben war falsch. Der einzige Irrtum war das vernichtende Urteil. Er war unschuldig.
Ein Kind weint um seinen Vater. Er war schuldig. Die Tat, die Gründe, all die nicht gestellten Fragen bleiben zurück. Werden Teil eines Kinderlebens. Eines unschuldigen Kinderlebens.
Über 18'000 Menschen stehen vor einer Kreuzung. Sie werden die eine Richtung gehen müssen, obwohl es auch einen zweiten Weg geben würde.

28. Dezember 2012

Aufrichtig sein.

Originalbild: E. Parton
Es gab da diese Briefchen, die ich im zarten Alter von sieben verfasste. «Liebes Mami. Tut mir leid, dass ich immer so störrisch bin. Ich hoffe, du bist nicht böse. Ich geh jetzt bitz an den Computer. Bis später beim Nachtessen. Alles Liebe.» Oder auch «Alte Hexe, dumme Hexe. Ich hab dich lieb.»
Kinder sind ehrlich. Direkt. Und auch wenn sie nicht immer die richtigen Worte finden, verstehen tut man sie dann eben doch. Die Aufrichtigkeit ihrer Worte, die Spontaneität und die unersättliche Liebe am Leben können nicht missverstanden werden.

Die Welt ist, durch Kinderaugen betrachtet, eine Gute. Eine Lachende. Und sie sollte es auch bleiben. Kinder sollen lachen, leben und toben. Um irgendwann, wenn so vieles Ernst zu sein scheint, das Lachen missverstanden wird und man sich immer wieder aufs Neue erklären muss, weiter lachen zu können. Aufrichtig und von Herzen.

22. Dezember 2012

Wesentlich sein.

Originalbild: P. Ott
Ein Duft von Zimtsternen zieht durchs Haus. Die Kerzen spiegeln sich in den Weihnachtskugeln. Und ein Kind spielt auf dem Klavier ein Weihnachtslied. Alle zusammen sind sie da. In der überhitzten Stube mit zu vielen Geschenken und all den Dingen, die doch niemand zu schätzen weiss. Niemand riecht den herrlichen Duft. Niemand nimmt diesen magischen Moment wahr. Und niemand lauscht den festlichen Klängen. Die Gedanken jagen von der vorweihnachtlichen Belastung der Kreditkarte über den Braten im Ofen zum Saubermachen nach der Bescherung bis hin zum Terminkalender für die erste Neujahrswoche. Für all die schönen Dinge ist kein Platz. Versäumtes und nicht Erreichtes werden grösser denn je. Alle wären gerne woanders. Egal wo, nur nicht hier. Und trotzdem lächeln sie maskenhaft weiter.
Draussen riecht es nach frisch gefallenem Schnee. Er ist alleine und nur seine Schritte im Schnee durchbrechen die eisige Stille. Er streift durch die Strassen, die an diesem Tag dunkler, einsamer und kälter sind als jeher. Er sieht die hell erleuchteten Fenster, all die Familien mit ihren Geschenken unter dem Weihnachtsbaum. Er sieht das Leuchten der Kerzen und das der Kinderaugen. Selbst den weihnachtlichen Duft und den süssen Klang des Klaviers kann er mit geschlossenen Augen wahrnehmen.
Er ist allein in der Kälte. Und doch hat der an diesem Abend weitaus mehr Schönes gesehen als manch anderer. Vielleicht weil er seine Sinne dorthin richtet, wo das Wesentliche seinen Platz eingenommen hat. Und vielleicht auch, weil er weiss, dass das dieses Wesentliche nicht nur im Verborgenen zu suchen und finden ist.

20. Dezember 2012

Gesichtlich sein.

Ihr Gesicht ruht in seinen Händen. Seine Hände ruhen auf ihrem Gesicht. Seine Finger berühren die geschlossenen Augenlider. Zärtlich. Sanft. Wenn diese Finger lesen könnten, würden sie eine Geschichte erfahren. Ihre Geschichte. Das Gesehene und Erlebte. Dinge auch, vor denen sie die Augen geschlossen hat. Schliessen musste. Momente, die sie zu dem gemacht haben, was sie ist. Auch ihr Mund würde erzählen können. Von Dingen, die sie gesagt hat und nicht hätte sagen dürfen.Von Worten. Worte, die nicht ausgesprochen wurden. Von Geheimnissen. Vom Schweigen. 
Ihr Gesicht in seinen Händen. So vertraut. Und doch so fremd.

13. Dezember 2012

Entwaffnet sein.

Kinder spielen auf einem Spielplatz. Natürlich. Dort, auf dem Spielplatz ist ja auch Platz zum Spielen. Sie spielen. Ihr Spiel. Lachen. Entdecken die Welt. Sich. Ihr Gegenüber. Sie stellen sich Fragen, gute Fragen. Wie die, ob man die Welt stehlen kann. Sie fragen in der Hoffnung, dass da jemand ist, der ihnen eine Antwort geben kann. Und will. Es muss keine Gute sein. Nur eine Antwort.

Mitunter schreien sie auch. Laut. Um die Wette. Schreien. Weinen. Streiten.
Kinder streiten. Lernen zu streiten. Streiten, um zu lernen.

Es sind die Erwachsenen, die eingreifen, die starr an Ethik und Moral festhalten. Manchmal ohne Menschenverstand. Als ob die Welt gelernt hätte Konflikte zu lösen. Die Kinder könnten es lernen. Lernen, um später Konflikte menschlich zu lösen. Mit Herz. Mit Verstand. Ohne Waffen.

12. Dezember 2012

Unvergessen sein.

Im Schnee hinterlassen wir alle Spuren - nichts bleibt spurlos.
Sie bleiben haften, erinnern.
Erst die Sonne des Frühlings lässt die Spuren dahin schmelzen.
Die Spuren sind weg. Wir können sie nicht mehr sehen.
Vergessen werden wir sie aber nie.
Selbst im Sommer wird das Winterbild an unserer Wand hängen.
Und der nächste Winter wird kommen.
Und wieder werden wir Spuren hinterlassen.
Womöglich die selben wie im letzten Jahr.

Entschieden sein.

Schwarz oder weiss. Kalt oder warm. Hell oder Dunkel. Pro Tag sind es rund 100'000 Entscheidungen, die wir treffen. Viele davon sind unwissentlich.
Wir haben gelernt, uns zu entscheiden, weil wir die Möglichkeit dazu haben.
Wir zerbrechen uns den Kopf über die Farbe von Hose und Mantel. Und andere denken keine Sekunde darüber nach, ob sie lieber in zerlöcherten Turnschuhen und einem zu grossen Pullover oder barfuss und ohne Pullover herumlaufen wollen. Sie entscheiden nur zwischen erfrieren oder nicht. Ihre Entscheidungen fällen sie leicht. Wir nicht.

11. Dezember 2012

Degenerativ sein.


Originalbild: N. Cottrell
Zwei sich liebende Frauen möchten ein Kind. Sie suchen und finden einen Mann, der die Samen spenden wird. Eine der beiden Ehefrauen ist nun schwanger.
Mag sein, dass gleichgeschlechtliche Eltern zur Minderheit gehören. Und ich wüsste nicht einmal, ob ich, wenn ich denn lesbisch wäre, auch ein Kind zeugen und erziehen möchte.
Die Frage, ob man eine Familie haben und sein möchte, hat jeder selber zu beantworten.
Man ist, was man ist. Und liebt, was man liebt. Mehr zählt nicht. Liebe. Liebe zwischen zwei Menschen, zwischen Eltern und ihren Kindern.
Der Artikel über die Geschichte dieser zwei Frauen wurde kürzlich publiziert. Ebenso der Kommentar eines Lesers: «Ein typisches Zeichen der Degeneration unserer Gesellschaft. Gleichgeschlechtliche Paare sollen unter sich bleiben.»
Genau. Am besten mit Stacheldraht abgesperrt in einem Ghetto. Allesamt mit den selben Kleidern und ohne warmes Essen.
Es sind solche Sätze, die mich traurig machen. Angst machen. Es ist kaum ein Zeichen der Degeneration unserer Gesellschaft, wenn sich gleichgeschlechtliche Paare ein Kind wünschen, vielmehr zeugt es von Unmenschlichkeit, wenn Menschen so denken. Und wohl auch fühlen.

Fremd sein.

Originalbild: r.f.m. II
Wie ein Fremder bewegt er sich in seiner Wohnung. Auch wenn er vielleicht weiss, wo sein Badezimmer ist und wo seine Schuhe ihren Platz haben, ist er hier nicht zu Hause. Hier nicht. Und auch nicht anderswo.
All die Bilder, die seine Wände zieren, all die Bücher, die im Regal Staub ansetzen gehören nicht in sein Leben. Es sind alles Geschenke von Freunden. Von seiner Familie. Von den Menschen, die ihn ja so gut kenne. Die ihn lieben.
Er sitzt in seinem Sessel und schaut den Schneeflocken zu, wie sie gekonnt tanzen. Jeder an seinem Platz und doch in einem Gefüge.
Schon bald werden die Abende gefüllt sein mit Einladungen. Und er wird viele Geschenke bekommen. Von seiner Familie wie jedes Jahr eine Krawatte. Und er wird sie - wie jedes Jahr - im Schrank neben die anderen hängen. Und dort hängen lassen, um sie nächstes Jahr zu Weihnachten tragen zu können. Und den Menschen eine Freude machen, die ihn so lieben. Und so gut kennen. So gut, dass sie ihm sein Leben einrichten. Ein Leben, dass ihm nicht mehr gehört. Ein Leben, das er auch nicht kennt. Es ist das Leben eines Fremden. 

9. Dezember 2012

Beraubt worden sein.

Nach Erklärungen suchen, die scheinbar nur Missverständnisse erzeugen. Sich entschuldigen und damit einmal mehr Missmut auslösen. Helfen wollen und nur noch weitere, tiefere Verletzungen entstehen lassen. Eigentlich Nähe schaffen wollen, sich schlussendlich aber nur noch weiter voneinander entfernen. Immer wieder Worte benutzen, die das Gegenteil von dem bewirken, was sie eigentlich sollten. Worte können viel. Was sie aber nicht können, ist für einen das Leben leben. Das eine Leben. Die Liebe. Irgendwann werden all die Worte ihr den Atem rauben, sie erdrücken. Sie begraben. Lebendig.

7. Dezember 2012

In Bewegung sein.

Ein Schritt weiter und er fällt.
Ein Schritt zurück und er sieht nichts als die Dunkelheit.
Stehenbleiben.
Verharren.
Aushalten.
Einen anderen Weg suchen.
Finden.
Weitergehen.
Vorwärts.
Seitwärts.
Solange bis es hell wird.
Solange bis das Eis schmilzt und zu Wasser wird.
Er schwimmt für sein Leben gern.

6. Dezember 2012

Verloren sein.

Der Tag fing wunderbar an. Eine streikende Kaffeemaschine, ein Loch in der Strumpfhose und ein ungemütliches Schneegestöber auf dem Weg zur Arbeit. Was folgte waren Marathonsitzungen, schlechtes Mittagessen und einen unzufriedener Vorgesetzten. Tage wie dieser gehören nicht auf Elisas Wunschliste. Auch nicht der noch ausstehende Termin mit einem der unbeliebtesten Kunden überhaupt. Einer, der die Laune - mag sie noch so gut sein - auf den Nullpunkt senken kann. Innert Minuten. Bei Frauen kann er seinen Charakter am besten zur Schau stellen. Er will mächtig sein. Und lässt dies spürbar werden.
Der anhaltende Schneesturm hat den öffentlichen Verkehr und den Strassenverkehr lahmgelegt. Elisa musste die Strecke zum Büro des Kunden zu Fuss gehen. Dort angekommen liess sie den Blick in den Spiegel bleiben. Sie wurde ins Sitzungszimmer geführt. Und sie traute ihren Augen nicht. Vor ihr sass nicht der unbeliebte Kunde. Es war Pablo mit seiner Assistentin. Elisas Erstaunen hielt sich mit dem von Pablo die Waage. Es mussten zehn Jahre her sein, seit sie sich das letzte Mal gesehen haben. Sie arbeiteten damals zusammen im selben Team. Kamen sich näher und mussten sich eingestehen, dass sich ihre Beziehung auf das Büro beschränken sollte. Elisa zog bald in eine andere Stadt und so verloren sie sich aus den Augen.
Zwischen ihnen lagen nun die zehn vergangenen Jahre. Das Erlebte. Die Erinnerungen. Doch vorerst sollte für all dies kein Platz sein. Es musste verhandelt werden. Und schneller als vermutet, brachten sie die wichtigsten Punkte auf einen Nenner.
Pablo war es, der das Gespräch als erster auf die persönliche Ebene brachte.
«Steht einem gemeinsamen Essen etwas im Wege?», wollte er wissen. Elisa mochte die Idee, etwas in Erinnerungen zu schwelgen - gerade an einem Tag wie diesem.
«Ich muss vorher kurz nach Hause. Duschen und umziehen. Du kannst gerne bei mir warten.»
Elisa war überrascht, dass Pablo in der Stadt eine Wohnung hatte, willigte jedoch ein. Sie wartete währenddessen im Wohnzimmer auf ihn, setzte sich in einen Sessel und nippt am Martini, der ihr Pablo serviert hatte. Sie stellte ihn aber gleich wieder hin, um ihre Jacke auszuziehen. Es war warm in der Wohnung. Und die Wärme umhüllt sie angenehm. Sie schloss für einen Moment die Augen, wollte den anstrengenden Tag hinter sich lassen. Sie entspannte sich immer mehr. Der Kopf wurde immer schwerer. Elisa nickte ein und bemerkte auch nicht, das Pablo bereits fertig geduscht hat und ins Wohnzimmer gekommen war.
Elisa begibt sich auf eine Reise. Es ist warm. Sie spürt eine Haut auf ihrer. Sie spürt die Fingerkuppen auf ihrem Unterarm. Dem Oberarm. Auf ihrer Brust. Auf ihrem Hals. Dann noch mehr Wärme. Auf dem Oberschenkel. Zwischen den Schenkeln. Ein Atmen. Eine Zungenspitze. Die Wärme überkommt sie. Und plötzlich ein Licht, dass den Weg durch ihre Lider findet. Sie träumt nicht, lässt dennoch die Augen geschlossen. Lässt alles geschehen. Seine sanften Hände sind überall. Er drückt sich an sie. Sie fühlt seine Lust. Sein Verlangen. Fühlt sich, ihm so ausgeliefert dennoch sicher. Geborgen. Er muss ihr bereits die Strumpfhose und den Slip ausgezogen haben. Und nun schiebt er ihr den Rock etwas höher und öffnet ihre Bluse. Pablo spielt das Spiel der schlafenden Elisa noch so gerne. Verwöhnt sie leidenschaftlich. Er dirigiert dieses Stück, würde aber nie einen Ton anschlagen, der missfallen könnte. Seine Hände streifen über sie, als ob er an einer fragilen Skulptur arbeiten würde. Seine Zunge liebkost jeden Zentimeter an Elisas Körper. Sie schiebt ihr Becken seinem Gesicht entgegen. Spürt seine Zungenspitze. Sie vergisst alles. Nur nicht den Raum um sie herum. Die Wärme. Den Moment. Hier in diesem Moment möchte sie bleiben. Verharren. Für einen Augenblick. Für die Ewigkeit.
Plötzlich steht Pablo auf. Dreht ihr den Rücken zu. Elisa öffnet erschrocken ihre Augen. Pablo steht vor ihr. Sie sieht die Narben, die den Rücken wir ein Gemälde zieren.
«Pablo?, flüstert sie.»
Er dreht sich um, nackt. In seinem Gesicht ist keine Regung zu sehen. Kälte. Härte.
«Ich bin seit fünf Jahren verheiratet. Und seit vier Jahren schlägt mich meine Frau.»
Er setzt sich auf den Boden und entschuldigt sich für sein Verhalten. «Tut mir leid, dass ich mich gehen lassen habe. Du hast mich einfach mitgenommen. In die Vergangenheit. In eine Zeit, wo alles noch anders war. Ich mich noch nicht verloren habe. Und ich mich sicher fühlte.»
Elisa laufen die Tränen über die Wangen. Sie möchte etwas sagen. Kann nicht. Sie kniet auf den Boden, dicht an Pablo und versucht ihn zu umarmen. Er wehrt sie ab.
«Bitte lass mich alleine. Es führt zu nichts. Es ändert nichts. Es tut mir leid.»
Elisa kennt Pablo. Kannte ihn. Damals vor zehn Jahren. Doch wer war dieser Mann, der da nackt vor ihr auf dem Fussboden sass. Er wirkt wie ein kleiner Junge. Verloren. Einsam.
«Lass dir helfen. Finde einen Weg da raus.»
Pablo schaut Elisa müde an und erwidert ihr, dass er seine Frau liebe. Egal, was passieren wird.
«Aber wieso ist das von eben dann geschehen. Du hast dich nach Nähe gesehnt. Nach Zärtlichkeit. Ohne sie bist du verloren.»
«Ach Elisa. Ich habe mich schon lange verloren. Und die Suche aufgegeben. Bitte such du auch nicht, du wirst nichts mehr finden.»
Elisa steht wortlos auf, knöpft sich ihre Bluse zu und zieht sich an. Tritt heraus in die kalte Winternacht. Noch nie hat sie so gefroren. Noch nie schnitt ihr der Schnee so ins Gesicht. Noch nie brannten die Tränen auf ihrem eisigen Gesicht so sehr.
Noch nie wollte sie so laut schreien und hatte so wenig Kraft dafür.
Noch nie hatte sie so viel Vergangenheit auf einen Schlag verloren.

29. November 2012

Unmenschlich sein.

Es ist paradox.
Wenn Friedenshüter zu Tätern werden.
Unbestraft bleiben.
Von der Spitze geschützt werden.
Wenn Informationen vertuscht werden.
Wenn missbrauchte Frauen nicht gehört werden.

Mütter verzweifeln.
Leiden.
Hoffen.
Um ihre Töchter, die verkauft, gedemütigt, gefoltert und missbraucht wurden.

Mütter verzweifeln.
Leiden.
Um ihre Söhne, die Menschen alles andere als menschlich gegenübertreten.

Hinschauen fällt schwer.
Blind sein auch. 

21. November 2012

Entwichen sein.

Originalbild: Alin Ciortea
Sie spürt noch immer seine Wärme zwischen ihren Schenkeln.
Aus ihrem Herzen ist die Wärme entwichen.
Sie hätte seine Briefe nicht lesen sollen. Er hätte gewisse Dinge nicht schreiben sollen. Die endlosen Streitereien, Vorwürfe und Unterstellungen brachten nicht die erhoffte Nähe und das entschwundene Vertrauen zurück. Was blieb war Entfremdung, Kälte, Misstrauen. Und doch blieben sie. Wollten nicht weg. Verharrten an Ort und Stelle.
Mit jedem Tag entdeckte Jamina neue Seiten an Raphael. Keine Wesenszüge, die der Liebe gut taten. Er war ihr so fremd geworden. Wohl genau so fremd, wie sie ihm geworden ist.
In all den Diskussionen brachten sie nicht mehr Verständnis für den anderen auf. Im Gegenteil. Das Unverständnis wuchs mit jedem gesagten und wohl auch verschwiegenem Wort.
Zwischen all den Verwirrungen und Irrungen gab es immerhin Momente, in denen beide die Liebe spürten. Die Liebe, die einst im Vordergrund stand. Und nun in tausend Einzelteilen vor ihnen in Scherben lag. Doch sie sehen sie noch und können sich nicht von ihr lösen. Nicht von der Liebe. Nicht vom Menschen. Nicht von Gewohnheiten. Nicht von der Nähe. Verletzen sich immer mehr. Bluten. 
Und so war es auch an jenem Sonntag. Der Abend verlief wie so oft mit Diskussionen und Streitereien. Jamina brach in Tränen aus. Hielt es nicht mehr aus. Wollte nur noch weg. Aus der Situation. Sie legte sich ins Bett. Verharrte dort mit ihren Gedanken, die sie nicht ordnen konnte.
Sie muss wohl bereits eine Stunde so da gelegen haben, als Raphael sich neben sie legte. Stumm. Regungslos.
Auch Jamina lag scheinbar noch immer regungslos und still da. Doch plötzlich spüre sie ein Verlangen. Sie wusste nicht wonach. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Und ohne darüber nachzudenken, von ihrem Verlangen geleitet, legt sie ihre Hand auf ihre Brust. Sie lässt ihre Finger über ihre Brustwarzen kreisen und spürt die Wärme in ihrem Schoss.
Ihr Atem wird hörbar. Auch für Raphael. Er wendet sich ihr zu und kann ihre Silhouette im Mondlicht deutlich erkennen. Licht ist nicht nötig, er kennt ihren Körper. Kennt ihre Regungen beim Liebesspiel.
Er rückt etwas näher. Sie kann ihn spüren. Spürt seine Erregung an ihrem Schenkel. Spürt seinen Blick auf ihrem Körper. Unbeirrt bleiben ihre Hände auf ihr, suchen den Weg zu ihrer Scham. Ihre Finger spielen ihr Spiel.
Für Raphael könnte dieses Spiel unendlich weiter gehen. Er hat diesen Anblick schon immer genossen. Ihr dabei zuzusehen, wie sie mit ihrer Lust spielt. Sich selber in unermessliche Höhen bringen kann.
Doch Jamina will Raphael bei diesem Spiel dabei haben. Sie erhebt sich abrupt. Wortlos setzt sie sich auf ihn, bewegt sich langsam nach unten, um mit ihren Lippen sein erregtes Glied in Empfang zu nehmen. Raphael stöhnt auf. Und Jamina geniesst es. Sie geniesst jeden Moment der nächsten Minuten. Sie bewegt sich auf ihm und er in ihr. Vertraut. Sanft. Liebend.
Doch irgendwann ist es zu Ende.
Sie spürt noch immer seine Wärme zwischen ihren Schenkeln.
Seine Wärme aus ihrem Herzen ist entwichen.

19. November 2012

Eros sein.

Ganz ehrlich. Es mag ja sein, dass die Dame im Bild durchaus sportliche Beine hat. Und bitz braungebrannt sind sie auch. Und bevor ich mich über das schampar kurze Kleidchen auslasse, welches ihre Hüfte umhüllt, wende ich den Blick von ihr ab und möchte mich einem ganz anderen Thema widmen. Es wird keinen Frauenneidfeldzug geben.
Mein Blickfang war nämlich nicht sie, trotz ihrer weissen Zähne. Meine Augen steuerten das Wesen im Bild links an. Das Mädchen mit der Hand im Kleid. Nicht auf dem Kleid. Nicht auf dem Po. Nicht um die Hüfte. Nein, verwickelt in den Stoff des Kleides.
Und nun frage ich mich, was die Hand da tut. Eine berechtigte Frage finde ich. Geld verstecken vielleicht, weil die gute alte Matratze ausgedient hat.
Vielleicht sollte man noch erwähnen, dass es in diesem Artikel um Griechenland geht. Nicht um Griechenland als Urlaubsdestination und auch nicht als Land der Eros, Nikos, Antonis und Jorgos. Es geht um Griechenland und seine Finanzkrise. Passt also irgendwie schon das Bild. Wenn die lächelnde Dame im Vordergrund nicht dastehen würde.
Und vielleicht will die Hand auch kein Geld verstecken, sondern es geht um das letzte Hemd, bzw. um das letzte Kleid, wäre vom Fotografen ein wirklich gelungenes Sinnbild.
Oder es ist doch nur eine Touristin, die sich von Eros um den Finger wickeln liess und nun eifrig Dolmades kochen lernt. Ich für meinen Teil hab den Dreh noch immer raus.

7. November 2012

Wärmend sein.

Es gab eine Zeit. Eine Zeit vor der Zeit.
In dieser Zeit, da wurden hingebungsvoll kalte Füsse gewärmt. Stundenlang Geschichten erzählt. Aufopferungsvoll zermantschte Bananen und Zwieback an das Krankenbett getragen. Liebevoll das fiebernde Händchen gehalten. Geduldig gesungen, bis die Äuglein endlich schwer wurden. Mit Umarmungen und Zeichen der Liebe nicht gespart.
Es gab eine Zeit.
Und plötzlich ist sie vorbei. Und ehe man sich versieht, geraten all die wichtigschönen Dinge in Vergessenheit. Nur die unendliche Wärme bleibt. Wenn man auf sie acht gibt. Sie nicht durch die Kälte der Tage erfrieren lässt.
Die Wärme. Sie umhüllt die Kinder. Die Kälte. Sie weht überall. Trotz Klimawandel.

25. Oktober 2012

Sprachlos sein.

In Nussbaumen wohnen rund 8'500 Einwohner. Mindestens einer davon schreibt Leserbriefe.
Es spricht auch nichts dagegen, öffentlich seine Meinung kundzutun. Diese soll gehört oder eben gelesen werden. In diesem Fall aber hätte ich lieber nicht hinsehen wollen.
Ein Artikel über Intersexualität. Ich wusste wenig darüber. Nun weiss ich etwas mehr. Und vorallem über die fehlenden Gesetze zum Schutz der Rechte Intersexueller.
Schon seltsam. In vielen Belangen könnte man meinen wir leben im letzten Jahrhundert. Doch hier ist es anders.
Im Jahre 1794 gab es im preussischen Landrecht einen Zwitterparagraph, der die Rechte von Hermaphroditen regelte. Im Jahre 1900 wurde er ersatzlos gestrichen. Die Gesellschaft braucht scheinbar Eindeutigkeit.
Heute setzten sich Menschenrechtsgruppen und die UNO für die Rechte von Intersexuellen ein. Medien versuchen mit Artikeln das Unwissen und damit auch die Furcht vor dem Fremden zu nehmen. Und wollen auf ein Thema aufmerksam machen, dass bislang zu wenig Gehör erhalten hat.
In Nussbaumen ist man anderer Meinung. Zehn redaktionelle Seiten, ein Editorial und sogar ein Titelbild wurde diesem Thema gewidmet. Für jemanden ist das zu viel. Für ihn wohl zuviel für eine Minderheit. Der Nussbaumer fragt sich, ob die Schweiz denn über nichts Wichtigeres zu  berichten weiss. Doch. Vielleicht. Vielleicht von Intoleranten und respektlosen Bürgern, welche Randgruppen noch mehr an den Rand drängen wollen.
Nussbaumen und Laramie. Zwei Orte auf dieser Welt. An beiden Orten haben Menschen ihr zu Hause gefunden. Sie sind dort daheim. Doch einige von ihnen sollen sich nicht wie daheim fühlen. Sie werden an den Rand gedrängt. Aufgrund ihrer sexuellen Neigung, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion. Oder aufgrund von einem nicht eindeutig zu bestimmendem Geschlecht.
Laramie war einst in den Schlagzeilen. Nussbaumen nicht. Wird es wohl auch niemals kommen. Und doch sind Stimmen wie diese beängstigend. Stimmen, die einer Minderheit keine Stimme geben wollen.

22. Oktober 2012

Kind sein.

Die Hälfte aller Dreijähriger Blondschöpfe nutzen das Internet. Bei den Zweijährigen Schweden sind es immerhin  40%. Dies besagt eine schwedische Studie. Aber auch hierzulande dürfte vor dem Prozentzeichen nicht bloss eine 0 stehen. Vielleicht wäre eine völlige Abstinenz im heutigen Zeitalter auch gar nicht mehr möglich - selbst bei Dreijährigen.
Erschreckend wären wohl auch Zahlen über die Häufigkeit der Internetnutzung. Nach solchen zu suchen liegt mir fern, ich möchte es nicht wissen. Vielleicht gar etwas die Augen davor verschliessen.
Die hohe Onlinepräsenz verdrängt wertvolle Dinge. Es mag ja durchaus sein, dass sich vieles geändert hat. Aber vieles eben auch nicht. Spielen und Entdecken im Wald war vor 30 Jahren etwas Wunderbares. Und ist es heute noch. Soll es auch bleiben. Man kann eines tun und das andere nicht lassen. Dreijährige können noch keine Prioritäten setzen. Sie tun das, was sie gerade mehr in den Bann zieht und  spannender ist. Aber wenn sich Mama vom Bloggen mehr begeistern lässt, als von Tannzapfen und Kastanien suchen, dann sind die Weichen gestellt. Ob sie wirklich in die richtige Richtung führen bleibt fraglich.

18. Oktober 2012

Berühmt sein.


Ich fühle mich leicht gedemütigt. Zumindest alles andere als gebauchpinselt.
Es war eine simple Anfrage, ob er denn mein Freund sein möchte. So rein virtuell.
Es gab da eine Zeit vor heute. Ich war in den Journalisten S. verschätzelt. Wir haben auch die Wohnung und das Bett für eine rechte Weile geteilt. Und manchmal hatten wir auch Gäste. Und einer davon war mindestens drei Mal der Herr H. Er, der damals ebenfalls mit dem Buchstabenaneinanderreihen Geld verdiente. Aufgetischt wurden auch nicht nur Salzstängeli und Dosenbier. Ich habe mich richtig ins Zeug gelegt für die Bruschettas. Und all die anderen feinen Sachen.
Heute sieht man ihn im Fernsehen, wenn er von einem fernen Land und dessen Tagesaktualitäten zu berichten weiss.
Er hat es wirklich zu was gebracht, der Herr H. Und es mag ja sein, dass Kaviar-brötchen mehr zu seinem Stil und Gehalt passen. Aber wegen ein bitz Ruhm vergisst man doch nicht gleich meine Bruschettas. «Kennen wir uns...», war alles, was der sonst gar nicht Wortkarge als Antwort parat hatte.
Ich bin empört. Und ziehe meine Anfrage zurück. Einfach so. Und mache die Schublade wieder zu. 

15. Oktober 2012

Lebendig sein.




Sagen.

Meinen.
Schreiben.
Denken.
Fühlen.
Gewünschtes.
Befürchtetes.
Erlebtes.
Geträumtes.
Dazwischen leben.
Leben fühlen.
Leben leben.
Dazwischen.
Davor.
Und danach.

12. Oktober 2012

Traummännisch sein.

Eine von fünf Frauen beneidet das andere Geschlecht um den Vorzug nicht ungewollt schwanger werden zu können, so das «Süddeutsche Zeitung Magazin», welches die Daten von drei Dating-Websiten ausgewertet hat.
Ungewollt schwanger werden ist nicht in jedem Fall wünschenswert. Ist so. Ungewollt Vater zu werden aber wohl auch nicht. Wieso also neidisch sind. Sollen denn die potenziellen Erzeuger ebenso auf uns neidisch sein? Schliesslich können wir bis dato ebenfalls nicht ungewollt Vater werden.
Schampar viele dieser Angaben haben mich bitz stutzig gemacht und meine Liebesansichten dermassen auf den Kopf gestellt.
Meine Abneigung gegen Kosenamen ist eine sehr persönliche Sache. Wer seinem Goldschatz lieber «Maus», «Bärchen» oder «Engel» sagen möchte, nur zu. Nur verstehe ich dann nicht, wieso knapp 27% das Interesse an ihrem «Engel» verlieren würden, würde er an ebensolche oder Horoskope glauben. Ich möchte auch nicht wissen, wie oft die Engelsanbeterin ihren Michael, Raphael oder Gabriel bei einem starken Einfluss der Venus nicht im gewohnten Baumwollunterhöschen, sondern in einem seidenzarten Negligé erwartet hat. 1 + 1 gibt eben nicht immer 2. Und schon gar nicht, wenn es um den angeblichen Traummann geht. 
Berufswünsche, ein weiteres Thema der Befragung. Architekten, Ärzte und Unternehmer teilen sich die Spitzenränge. Wer sonst soll auch das Negligé bezahlen. Sicher nicht der Möbelpacker, der mit 5,9% der absolute Albtraummann der Frauen verkörpert. So ist es auch ganz und gar einleuchtend, dass 57% von ihrem Traummann erwarten, dass er im Haushalt mit anpackt. Und da soll einer die Frauen verstehen.
Ich verstehe die Männer. All die Männer, die auf ihr Traummanndasein pfeifen. Und einfach sind. Real eben. Denn was bitteschön soll ich mit einem braunhaarigen Unternehmer, der nicht an Horoskope glaubt, dem ich Schatzi sagen darf, zu dessen Hobbies Kochen gehört, der beim Date die Rechnungen bezahlt und der auch bestimmt keine schlechten Manieren hat. Vielleicht gemeinsam träumen. Vielleicht von der Realität.

4. Oktober 2012

Zeitlos sein.

Meine Sommerröcke belegen noch immer den besten Rang im Schrank. Und ich tapse bis dato Barfuss in der Wohnung herum. Doch auch die stärksten Herbstsonnenstrahlen können die Umgestaltung der Schaufensterdekorationen nicht aufhalten. Weihnachtskugeln und Engelchen haben Einzug gehalten.
Einen Schritt voraus zu sein ist amigs durchaus nützlich. Kann Leben retten oder vor unangenehmen Situationen bewahren. Aber manchmal ist früh einfach schampar zu früh.
Einem Kind von drei Jahren eine Uhr zu schenken mag für viele pädagogisch wertvoll daherkommen. Damit es auch frühzeitig die Fähigkeit erwirbt, sich an der Zeit zu orientieren. Pünktlichkeit lernt. Sein Spiel unterbricht, um den Englischkurs für Kleinkinder nicht zu versäumen. Sich endlich in die Maschinerie der Erwachsenenwelt einzugliedern.
Ungewiss bleibt, wieso wir uns an der Zeit orientieren sollen, wenn uns damit die Orientierung genommen wird.
Ich sehe Sonnenstrahlen und farbige Wälder. Ich höre das Rascheln des Laubes unter meinen Füssen. Ich rieche noch immer frisch gemähtes Gras. Doch meine Sinne werden getäuscht. Zimtsterne zum Degustieren. Lametta, das im Schaufenster vor sich hin glitzert.
Den Kindern rauben wir die Zeit. Die Zeit, Kind zu sein. Uns nehmen wir die Zeit. Die Zeit zu sein. Hier. Und jetzt.

28. September 2012

Fremdgestöhnt sein.



Es ist weder Lust, noch Begierde und sowieso nicht Befriedigung welche Frauen stöhnen lässt. Frauen möchten mit der Stöhnerei lediglich die Ejakulation vorantreiben oder amigs auch dem Partner schmeicheln, sagt die Gayle Brewer. Oder ihre Studie. Und wer an dieser Stelle noch daran glaubt, dass Frauen beim eigenen Orgasmus stöhnen hat weit gefehlt. Sie tun das nämlich beim Orgasmus des Partners. Ist ja irgendwie logisch. Frauen sind ja per se empathische Wesen. Weitere Gründe für das Fremdstöhnen und die Vorantreibung der männlichen Entladung seien Schmerzen, Langeweile oder Müdigkeit.
Kommt also schampar viel Langeweile auf, stöhne ich mal laut, er ist flugs fertig und ich kann mein Buch endlich zu Ende lesen.
Und wo bitteschön ist da der Spass. Die Euphorie. Die Hingabe. Der Genuss. Liebemachen ist doch würklich was Schönes. Und mal ehrlich. Ich lass mich doch nicht zu etwas hinreissen was mich langweilt oder ermüdet. Da kann ich ja gleich gewissen Politikern zuhören.
Und sowieso. Ich bin weit davon entfernt meine akkustische Untermalung während des Beischlafs zu beobachten, analysieren oder gar bewusst zu steuern. Das kommt einfach. Und ich finde es ja wirklich wunderbar sich Dinge zu teilen. Aber mein Stöhnen gehört mir. Und meinem Orgasmus.

22. September 2012

Machoid sein.

Alice Schwarzer würde mich verbannen. Hab ich doch mit einem Wisch die jahrzehntelangen Bemühungen um eine gleichberechtigte Behandlung meiner Spezies in den Keller gefegt.
Ich habe seit gestern ein neues Notebook. Das alleine macht mich aber noch lange nicht zum machoiden Weibsstück. Die Tatsache jedoch, dass ich French Nails und technisches Know-how nicht unter einen Hut bringe kann, lassen schon eher gewisse Vorurteile vermuten.
Als die nette Frau mit ihren blonden Stränchen, den Diamanten auf den Fingernägeln und der blauen Wimperntusche auf mich zusteuerte und mir ihre Hilfe anbot, wollte ich mich  dann doch lieber einfach ein bitz umsehen. Ich war dann aber doch schampar erleichter, als sie an die Kasse zitiert wurde. So konnte ich ohne schlechtes Gewissen den hübschen Burschen mit Dreitagebart um Rat bitten.
Ich habe schlussendlich das von ihm empfohlene Notebook gekauft. Nicht, weil er mich besonders gut beraten hätte. Es war einfach das günstigste und beste Angebot.
Und wer nun denkt, ich mag Frauen nicht hat weit gefehlt. Ich bin beispielsweise sehr zufrieden mit meiner Gynäkologin. Und finde männliche Kindergärtner wirklich wunderbar.
Hätte mir meine Mutter nicht auch einmal eine Bohrmaschine in die Hand gedrückt, würde ich einfach meinen Eltern die Schuld für meine Vorurteile geben. Geht nicht. Und schliesslich habe ich, um mir meinen eigenen Stuhl zu schreinern, auch einmal in Spitzenunterwäsche und Sommerröckli an schweren Maschinen gearbeitet. Ich bin also nicht ein dermassen klischebesessenes  und rollendenkendes Wesen. Ich habe einfach meine Vorurteile. Gegen French Nails und Diamanten an den Fingern.

17. September 2012

Intim sein.

«Bitte 1x Vagisan® FeuchtCreme» steht da in mehr oder weniger grossen Lettern. Eine Schere pocht darauf, den Bon auszuschneiden und bei Bedarf in die nächste Apotheke zu bringen.
Der Bedarf heisst Scheidentrockenheit.
Ich mag Gratismüsterchen schampar gern und hatte die Schere auch schon in der Hand, als ich das Kleingedruckte las. Da steht nämlich «Einkaufszettel - für den intimen Kauf ohne Worte».
Ich gehe also mit dem Zettelchen in die Apotheke, strecke sie dem Apotheker vor die Nase und bekomme meine Creme. So ganz ohne Worte. Wahnsinn. Und das gibts dann demnächst auch für Herpes, Scheidenpilz, Hämorrhoiden, Achselschweiss und Potenzprobleme. Nur damit wir über nichts mehr intimes sprechen müssen. In der Apotheke. Dort, wo die ganze Welt zuhört.
Sein Sexleben, die intimsten Gedanken, seine Vorlieben für Tantrasex, Anzahl Geschlechtspartner und Therapeuten im Internet oder Fernseher preis zu geben ist auch wirklich kein bitzli persönlich.
Ehrlich. Ich möchte meinem Apotheker lieber von einer trockenen Scheide erzählen, als mein Sexleben auf der Theke auszubreiten. Selbst dann, wenn letzeres zu ersterem führen würde.

13. September 2012

Massiert sein.

Gestern liess ich mich massieren. Für Geld. Also eigentlich für einen Gutschein, den ich nun kurz vor dessen Ablauf noch einlösen musste. 60 Minuten Geknete von Kopf bis Fuss. Wunderbar. Einzig meine Stirn fand auf der Massageliege irgendwie nie ganz ihren Platz und so hat es manchmal bitz gedrückt.
Gedrückt hat auch die Massagefrau. Angenehm wohlgemerkt. Meine schwachen und verspannten Stellen hat sie flugs gefunden und dort auch etwas mehr Zeit investiert. Sie wusste, was sie da tat. War schampar professionell.
Von mir konnte man das nicht so sagen. Spätestens nach einer halben Stunde, beim Wechsel vom Bauch auf den Rücken, konnte ich meine Gedanken nicht wegmassieren lassen. Es war eine Massage und ich hatte zu keinem Zeitpunkt Gefühle, die ich unterdrücken musste oder die verwerflich gewesen wären. Nur habe ich mir da, so auf dem Rücken liegend, mit den Händen der Massagefrau um meine Brüste kreisend (da gabs auch keinen Ausrutscher auf die Hügel) einige Gedanken gemacht. Gedanken über Grenzen, Grenzüberschreitungen, Missverständnisse, Vorwürfe und Anklagen.
Wir bewegen uns nicht nur auf dem Massagetisch immer wieder auf einem schmalen Grat. Grenzen sind so verschieden und wie die Boxershorts von Prinz Harry. Was beim Überschreiten von einigen Grenzen einfach nur ans Lächerlich grenzt, ist bei anderen diskriminierend, verletzend und ein massiver Eingriff in die Intimsphäre.
Wir sind nicht alle gleich, nicht seelenverwandt. Kennen die Grenzen des anderen nicht genauso wie unsere eigenen. Wir denken anders. Fühlen anders. Doch wünschten uns immer noch, es wäre nicht so. Tragen immer noch die Hälfte eines Amulets um den Hals. Liebe ist wunderbar. Sie ist alles. Alles, wenn sie zwei Menschen zwei Menschen sein lässt.
Die Massage liegt fast 24 Stunden zurück. Dazwischen gab es noch einen Traum, der sich meinen Gedanken dort auf dem Rücken liegend bedient hat. Ein Traum, in dem alles geschehen kann. Keine Grenzen, keine Scham, keine Fragen. 

30. August 2012

Beschnabelt sein.

Ich mag Schnäbis. So grundsätzlich und allumfassend. Die guten Stücke haben mir schon sehr zuvorkommende und exzellente Dienste erwiesen. Und ich finds auch toll, dass Männer auswärts im Stehen pinkeln können. 
Mögen und begehren ist aber nicht gleichzusetzen mit neidisch sein. Bin ich nämlich nicht. Kein bitzli. Kein Schnäbineid wie ihn uns unser Freund Freud einreden wollte.
Ich mag Freud und finde viele seiner Ansichten nachvollziehbar und stimmig. Nicht diese.
Die Annahme, dass Weib den Wunsch hegt, den «Penis beim Geschlechtsverkehr zu besitzen», als Penisersatz ein Kind zur Welt bringt oder ganz und gar männliches Verhalten zeigt verwirrt mich. Und ich kann mich auch nicht in das patriarchale Denken hineindenken. Geht nicht.
Ich fühlte mich nie um etwas betrogen. Auch nicht kastriert. Fehlen tut mir zwar amigs schon was, aber nicht zwischen den Beinen. Und sowieso, ich mag meine Brüste schampar gern. Dies kann mir auch keine Verkäuferin ausreden, die mich beim blossen anschauen eines wirklich wunderbaren BH's in 85 B darauf hinweist, dass dieser ein paar Nümmerchen zu gross für mich sei. Und sowieso. All die anderen Spezialitäten, die mich zur Frau machen find ich so im Grossen und Ganzen und Kleinen und Halben ganz gmögig.
Die gesellschaftliche Bewertung von Mann und Frau bleibt. Mit oder ohne Penis. Und ich kann mich wohl sehr glücklich schätzen, dass mir aufgrund meines Geschlechts bislang noch keine Schranken in den Weg gestellt worden sind. Auch keine imaginären.
Ich durfte auch gleichzeitig mit Autos und Barbie spielen. Und hab auf dem Weg zum Ballett auf dem Töffli Nirvana gehört.
Die Missstände andernorts- und landes, auf höheren Etagen oder in der Politik sind amigs gruslig. So wie auch Fenchelwerbung auf einer Seite für die emanzipierte Frau. Gopf.


20. August 2012

Gesternt sein.

Sie ruft mich nun bereits das vierte oder fünfte Mal an. Rein statistisch würde sie damit zu meinem engsten Freundeskreis gehören. So rein telefonisch.
Meine Freunde lasse ich gerne ausreden, höre ihnen lange und gerne zu. Sie unterbreche ich nach etwa einer halben Minute. Und das hat nichts mit ihrer süssen, feinen Erdbeercrèmestimme zu tun. Sie darf sagen, dass sie mir ein schampar günstiges Angebot machen möchte. Auf natürlicher Basis. Ein Angebot auf natürlicher Basis. Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Die Callfrau preist mir ein Mittelchen an. Eines auf natürlicher Basis. Die Basis scheint sehr wichtig zu sein. Die natürliche. Das Mittel lässt scheinbar Pfunde purzeln - in den Abgrund versteht sich.
Ich möchte kein Mittelchen auf natürlicher Basis. Auch keines mit einer anderen Basis. Nie und nimmer. Und die Frau Semlig kennt doch mittlerweile meinen Standpunkt.
Heute wollte sie mich nochmals auf ihr Angebot hinweisen. Mit mässigem Erfolg. Ich habe ihr dann auch erklärt, dass ich bei meiner Telefonnummer ein Sternchen habe und ihr Anruf somit gesetzeswidrig ist. Lässt man sich das Sternchen hinter die Nummer tätowieren soll's nämlich keine Werbeanrufe geben.
Es sei kein Werbeanruf, den sie betätige. Bloss ein sehr guten Angebot auf natürlicher Basis. Aha. So.
Es ist die Hitze. Es muss die Hitze sein. Bitte, lass es die Hitze sein. Frau Semlig gehen sie schwimmen. Ins kühle Nass. Tauchen sie unter. Ganz weit.

17. Juli 2012

Verregnet sein.

Originalbild: H. Laukota
Sommerferien in Kombination mit Kälte und Regen ist nicht jedermanns Sache. Meine jedenfalls überhaupt nicht. Erst recht nicht, wenn ich dafür um die 2000 km weit fliege, mir äxtra noch Sommerkleider kaufe, ich mich aufs Bikinitragen freue und meine Beine mit Wachs entferne, also nicht die Beine, die sind imfall noch dran. Ehrewort. Eine Niederschlagsärmere Gegend oder eine Destination weiter südlich wäre unter Umständen bitz klüger, aber ich möchte halt da rauf und klüger war ich noch nie.
Und als ob das alles nicht genug Salz in die Wunde gestreut wäre, gibt es Firmen, die einem noch solche Zeilen vorsetzen:


«Schlechtes Wetter ist gleich viel besser zu etragen, wenn man sich darauf vorbereiten kann. Auch deshalb gibt es auf Zoover die 14-Tage Wettervorhersage für...».

Salz in die Wunde zu streuen mag vielleicht Entzündungen hemmen, aber es tut trotzdem schampar weh. Ich mag Zynismus. Strikte verboten ist dieser aber beim Gewicht, im Zusammenhang mit der Frisur und eben auch bei schlechtem Wetter in den Ferien. Von all den wichtigen Dingen ganz zu schweige
n. Und sowieso. Wenn, dann sollen die doch gleich noch den Direktvergleich mit der Wetterlage von zu Hause machen. Dann sieht man wenigstens gleich, dass sich die Reise absolut nicht lohnen wird und man Daheim mit Sonnenschein und warmen Temperaturen verwöhnt würde.
Auch wenn der Zweckoptimismus hier irgendwie zum Scheitern verurteilt ist: Der Bikini kommt mit. Wasser gibts bestimmt. In Mengen. Und von allen Himmelsrichtungen. Schöne Ferien.

13. Juli 2012

In meinen Gedanken sein.

14.7.2008
Ein Datum. Einige Zahlen, die daran erinnern, das die Zeit nicht stehen bleibt. Und sie vergegenwärtigen, dass vier Jahre eine gefühlte Unendlichkeit sein können. Erinnerungen, Bilder und Gerüche verblassen immer mehr.
Vor vier Jahren war er da, der endgültige Abschied. Die Trauer der vielen schmerzlichen Abschiede zuvor bündelten sich an diesem Tag und wollte ausgelebt werden, ihren Weg nach draussen suchen. Doch verabschiedet haben wir uns schon lange zuvor. Verabschiedet von einem Menschen, seiner Persönlichkeit, seinem Leben. Geblieben ist nur eine beinahe leere Hülle.
Was hätte ich damals für ein Lachen, ein Weinen oder ein Wort gegeben. Viel. Alles.
Aber mit dem damaligen Tag änderte auch dies. Für einen Moment war alles wieder da. Ein kurzer Moment. Der Moment, bevor alles ging. Du gegangen bist.

11. Juli 2012

Weise sein.

Die Günstigwochen lassen auf meiner Habenseite selten einen Eintrag verbuchen. Ausverkauf ist anstrengend. So schreitete ich heute auch ohne mit den Wimpern zu zucken an den rotbeschilderten Schaufenster vorbei. Vor mir gingen zwei alte, nicht ältere, Damen.
«Es gibt wirklich keinen Ausverkauf mehr», bekundete die eine.
Ich verstand nicht. Schrieb ihre Bemerkung dem Alter zu. Schliesslich hapert es ja an der Kasse amigs auch, wenn das Kleingeld gezählt werden muss und der Zug bereits am 500 Meter entfernten Bahnhof einrollt. Der Gedankengang der alten Dame war jedoch noch nicht zu Ende gesprochen.
«Heute ist alles nur noch Sale. Vier Buchstaben sind wohl günstiger.»
Ehrfurcht machte sich breit. Ich spürte sie in jeder Faser meines Körpers. Ein Lächeln.
Alte Damen mit Humor sind wunderbar. Möchte ich auch. Und vielleicht sollten die Damen und Herren in Führungspositionen vor der nächsten Reorganisation des Unternehmens ihre Retraite mal ein Seniorenheim abhalten.
Ein Hoch auf das Alter.

9. Juli 2012

Wortreich sein.

Die Lektüre liegt auf meinen Beinen. Der Schlüssel zum Sicherheitsschloss ist schon vor Jahren verschwunden. Ich beginne ein Spiel, blättere im Buch und öffne auf einer beliebigen Seite. Ich suche das «G-Wort». Es steht da, in grossen Lettern. Es steht auch auf der nächsten und auf der vorangegangenen Seite. Meine alten Tagebücher haben zweifelsohne eine hohe Frequenz an «Geil», sie zu berechnen wäre müssig. Aber es steht oft da. Und es wird für alles missbraucht. Für Turn- und Handarbeitsstunden, für die Männer, die damals noch Jungs waren, für neue Uhren, erste Küsse, zweite Küsse, neue Jungs, neue Erfahrungen. Einfach alles ist geil. Und was nicht geil war, wurde geil gemacht. So war das nämlich.
Wann mir dieses Wort abhanden und abmunden gekommen ist, bleibt ein Rätsel. Irgendwann, wohl über Nacht, machte es Platz für andere beschreibende Worte wie wunderbar. Eben erwachsenenkonform. 
Worte, Wortgewandtheit und Wortschatz haben sich geändert. Es wird umschrieben und mit Worten Bilder an die Wand gemalt. Amigs wissen wir nicht mehr, was der andere mit seinem Satzgefügen meint. Vorbei ist die Zeit der einfachen, klaren, unmissverständlichen Sprache.
Geil war die Zeit.
Sie war schampar emotional. Der Herzschmerz war noch so jungfräulich und die Folge, der Liebestod, war eine todsichere Sache.
Sie war äusserst wechselhaft. Allerhöchstens zehn Seiten wurden mit demselben Namen geziert. Manchmal standen da drei Namen auf einer Seite. Einmal wurden gar Zahlen davor geschrieben. Gewonnen hat damals übrigens der hier.
Wen ich die Seiten heute lese, erkenne ich mich darin kaum mehr. Ich bin gewiss keine abgestumpfte, emotionslose und biedere Trulla. Und die Angst vor dem Älterwerden hält sich so dermassen in Grenzen, dass ich geradezu als manisch jung durchgehen könnte. Und dennoch. So bitz fehlt mir die Zeit eben schon. Und das Rad, um die ebensolche zurückzudrehen wird wohl erst erfunden sein, wenn ich die Crèmes für die reife Haut ab 80+ schon lange nicht mehr brauche. Jänu, geilen wir die Zeit eben auf. Jetzt.

4. Juli 2012

Im Paradies sein.

Die Vergangenheit scheint es auf mich abgesehen zu haben. Da war gerade wieder eine dieser Erinnerungen. Ich war wohl 15. Er auch. Und er war ein Wildfang. Schlagzeuger in einer Band. Das Schlagzeug war sein ein und alles. Und es stand direkt am Kopfende seines Bettes. Da waren übrigens auch noch süsse kleine Abziehbilder am Bett, aber die durften die erwähnt werden.
Jedenfalls war dieses Schlagzeug sowas wie die Zigarette danach. Die davor auch. Nur dazwischen konnte er amigs die Finger davon lassen. War das ein Spass. Meine grosse Liebe spielte mich unbekleidet und mit Schweissperlen auf der Stirn in die Paradiesstadt. Das war schampar romantisch und von Biederkeit keine Spur. Irgendwann mochte ich den Axl nicht mehr und flugs war es aus.
Am nächsten Kopfende stand dann eine Bonsai. Und heute nicht mal mehr das.

27. Juni 2012

Von Sinnen sein.



Sie schreit still.
Er hört sie nicht.
Mach die Augen auf,
dann siehst du ihre Schreie.
Es ist unübersehbar.
Unüberhörbar.
Nimm ihre Hand,
dann spürst du die Kälte.
Steh ihr mit allen Sinnen gegenüber.
Dann fühlst du.
Es wird höchste Zeit.

26. Juni 2012

Lebendig sein.

Originalbild: Alin Ciortea
Endhaltestelle Wien Westbahnhof. Die Stadt, die seit langem weit oben auf Amiras Wunschliste steht, ist zum Greifen nah. Sie wollte nicht alleine reisen, aber der Zufall wollte es so. Die unterhaltsame Gesellschaft während der achtstündigen Zugfahrt kam ihr umso mehr entgegen.
Salome ist ihr bereits auf dem Bahnsteig aufgefallen. Sie war so quirlig und damit das pure Gegenteil von Amira. Es war nicht immer so, aber die letzten Jahre haben bei Amira eine Müdigkeit zurück gelassen, die unweigerlich an ihrer Lebendig- und Fröhlichkeit nagt. Es gibt Tage an denen sie sich im Spiegel nicht mehr erkennen kann. Und will.
Dagegen waren die acht Stunden mit Salome einfach nur erfrischend. Amira fühlte sich wohl, lebendig, jung. Das baldige Ende der Zugfahrt stimmte sie beinahe traurig, weil damit wohl auch die Begegnung ein Ende finden würde. Sie war erstaunt, als Salome vorschlug eine gemeinsame Bleibe zu suchen. Salome war bereits einmal in Wien und kannte ein gutes Hotel mitten im Zentrum. So kam es, dass die beiden kurze Zeit später im «25hours Hotel» eincheckten.
Amira brachte ihre Freude über die weitere Entwicklung des Tages mit einer Einladung zum Nachtessen zum Ausdruck. Das Essen, der Wein, die Gespräche und die Stimmung; es gab scheinbar nichts, was diesem Abend einen Minuspunkt einheimsen hätte können.
Zurück im Hotel war das Reiseadrenalin aber aufgebraucht und die Müdigkeit machte sie bei beiden bemerkbar. Salome zog sich als erste ins Badezimmer zurück, bevor sie es sich kurze Zeit später im Bett gemütlich machte. Während sich Amira die Zähne putzt, betrachtet sie sich im Spiegel. Sie sieht darin Augen einer zwar müden, aber zufriedenen jungen Frau. Es ist da ein Leuchten, dass sie schon lange nicht mehr bei sich erkennen konnte. Mit einem Lächeln knipst sie das Licht im Badezimmer ab und legt sich ebenfalls ins Bett.
Die Dunkelheit war längst um die Häuserecken gezogen, nur das Licht einer entfernten Strassenlaterne sucht sich den Weg ins Zimmer. Ein schmaler Lichtstreifen zeichnete sich auf der weissen Bettdecke ab. Auch noch dann, als sich Salomes Bauch bereits gleichmässig hebt und senkt und ihr Atem ruhig und rhythmisch geworden ist. Amira betrachtet die noch vor kurzem fremde Frau im spärlichen Licht. Der Deckenrand liegt knapp über den Hüftknochen und gibt den nackten Oberkörper frei. Der Lichtstrahl verläuft quer über Salomes Bauch.
Amira weiss nicht, wieso sie sich durch diese Frau so angezogen fühlt. Zuerst war es die Lebendigkeit, die sie in einen Bann ziehen vermochte. Jetzt war es ihr Körper. Sie schämt sich für ihre Erregung und ihre lustvollen Gedanken. Für ihren Atem, der plötzlich schneller geht. Für ihre erregierten Brustwarzen. Es ist kein Traum, der ihr die Wärme in den Schoss legt. Es ist eine Frau. Eine Frau, die da direkt neben ihr liegt. Schlafend. Bezaubernd. Von Begierde gefangen liegt sie da. Wie in Trance sucht ihre linke Hand Salomes Bauch. Sie berührt ihn voller Zärtlichkeit und Sanftheit. Amira stockt der Atem. Sie zieht ihre Hand zurück, als sich Salome räuspert.

«Hör nicht auf», flüstert Salome in die träge Dunkelheit. Sie hat nie geschlafen. Die Decke ist nicht durch einen unruhigen Schlaf vom Oberkörper geglitten. Amira rückt näher, kann Salomes Atem an ihrem Hals spüren. Sanft wird sie von der Wärme umhüllt. Sie zeichnet mit der Fingerkuppe Linien auf den Bauch, wandert höher und kreist sanft um Salomes Brustwarzen. Sie stützt sie sich mit den Händen leicht ab und dort, wo vor kurzem ihre Finger die samtweiche Haut liebkosten, bewegt sich nun ihre Zunge. Amira hebt ihren Kopf und blickt Salome direkt in die Augen. Sie bewegt sich weiter über den Hals zu ihren Lippen. Sie setzt die ihren dagegen, die Lippen öffnen sich. Die Erregung schwängert die Luft. Sie küssen sich innig. Salome dreht sich mit einer behutsamen Bewegung, fährt dort weiter, wo Amira kurz zuvor aufgehört hat. Sie wandert langsam tiefer. Über den Hals, zu den Brüsten, über den Bauch. Sie küsst ihre Scham. Amira stöhnt leise, als sie spürt, wie sich Salomes Zunge bewegt. Sanft schiebt sie ihr Bein zwischen Salomes Beine und spürt die Wärme des Schosses. Salome kreist mit ihrem Becken auf Amiras Bein.
Sie lassen sich fallen und blenden alles aus. Reduziert auf ihre Empfindungen. Benommen blinzeln sie gelegentlich und ihre Blicke kreuzen sich. Kein fragender Blick, nichts bedarf einer Antwort.
Als Amira am nächsten Morgen aufwacht, ist sie wieder alleine. Nur ein Zettel erinnert an das Erlebte.



«Du warst und bist wundervoll. Bewahr das Leuchten in deinen Augen.»

Amira zieht die Bettdecke bis unter den Hals, schliesst ihre Augen. Sie spürt noch immer Salomes Hände, ihren Atem und ihre Wärme. Sie lächelt und fällt erneut in einen tiefen Schlaf.

20. Juni 2012

Verkocht sein.

Was, wenn alles da ist und trotzdem etwas fehlt?
Man kocht, probiert und findet nicht heraus, was fern ist. Vielleicht steht das Gewürz einfach nicht im Schrank. Oder man ist ein schlechter Koch. Hat kein Händchen dafür die Zutaten richtig zusammen zu stellen.
Die Pfannen sind unlängst abgewaschen. Das Essen weggeworfen. Der Pizzamann schon wieder weg.
Das Leben ist kein Gericht. Und kein Schläckstängel.

24. Mai 2012

Eins sein.

Originalbild: S. Hailer
Sie sieht ihn jeden Morgen. Beide nehmen sie die Strassenbahn um 7:48. Ihre Haltestelle folgt genau elf Minuten nach Abfahrt. Und da sie ihn selten wartend sieht, beschränkt sich die herbeigesehnten Blicke auf diese elf Minuten. Eine Unendlichkeit gemessen an den daraus folgenden Phantasien.
Jeden Augenblick des Tages, des Abends und der Nacht, in dem sie ihren Gedanken freien Lauf lassen kann, ist er da. Sie spürt seinen warmen Atem in ihrem Nacken. Seine Hände auf ihrer Haut. Kaum schliesst sie ihre Augen, bedecken seine Küsse ihren Körper. Die Wärme ist überall.
Er aber weiss von nichts. Sie würde ihn gerne einweihen, ihn mitnehmen. Sie traut sich aber nicht. Und sowieso, würde sie all ihren Phantasien folge leisten, hätte sie schon mehrere Morde begangen, die Welt gerettet und ihr Leben endlich unter Kontrolle. Sie bleibt mit ihren Gedanken. Ihren Momenten. Und den elf Minuten.
Auch heute. Alles wie gewohnt. Die Strassenbahn um 7:48. Aussteigen und einen endlosen Tag im Büro verbringen. Kurz einkaufen und dann das Wochenende mit einem Glas Rotwein einläuten. Draussen ist es bereits dunkel, der Mond leuchtet durchs Fenster. Da im Mondlicht macht sie es sich, nachdem sie Musik aufgelegt hat, bequem und ist mit ihren Gedanken bereits schon wieder bei ihm. Sie hält sich nicht zurück, lässt sich von ihrer Lust treiben.
Doch was war das. Es klingelt an der Haustür. Sie erwartet niemanden. Und ihr Nachbar, der sie des Öfteren um Teile ihres Einkaufes bittet, ist im Urlaub. Mit anderen Hausbewohnern hat sie kaum Kontakt. Konsterniert setzt sie sich auf, knöpft ihre Bluse zu und streift ihren Rock glatt. Sie öffnet die Tür. Vor ihr steht er. Er.


«Ähm, Hallo.»


«Hallo.»


«Du hast deine Brieftasche heute in der Strassenbahn verloren.»


«Kann nicht sein. Ich hab sie doch... Wart bitte einen Moment. In meiner Tasche ist sie nicht. Vielleicht...»


«Nein wirklich. Es ist deine. Das steht hier.»


«Ja, aber ich hätte das doch bemerkt.»


«Hast du wohl nicht. Nimm sie doch.»


«Dankeschön.»


«Bitte.»


Sie spürt seine Blicke. Sie ist nervös. Sie hat den rettenden Satz vergessen. Er hilft ihr, stellt seine Fähigkeit zu Smalltalk unter Beweis. Sie hört ihm nicht zu. Er räuspert sich kurz und meint dann, er werde jetzt doch lieber wieder gehen. Man sehe sich ja am Montag um 7:48. Elf Minuten lang.


«Du weisst, dass ich täglich die selbe Strassenbahn nehme wie du?»


«Ja natürlich. Ich weiss wo du wohnst.... Ähm, natürlich erst, seit ich deine Brieftasche gefunden habe.»


«Ja, natürlich.» Sie kneift sich auf die Unterlippe. Und fasst sich ans Herz. «Du möchtest mir nicht bei einem Glas Rotwein Gesellschaft leisten, oder?»


«Wenn ich dich nicht störe. Es ging sehr lange, bis du die Tür geöffnet hast. Hab ich dich etwa aus dem Schlaf gerissen?»


«Nein! Ich habe nicht geschlafen. Komm rein, setzt dich doch.»


Er setzt sich aufs Sofa. Die Musik läuft noch immer. Sie holt ein zweites Glas Rotwein aus dem antiken Holzschrank und schenkt ihm grosszügig ein.


«Stört dich die Musik? Ich kann das auch ausmachen.»


«Nein, sie ist wunderbar. Wie du. Setzt dich doch zu mir. Erzähl mir von dir.»


«Ach, da gibts nicht viel zu erzählen. Obwohl. Eine Sache würde dich vielleicht interessieren.»


Sie wirft alle ihre Bedenken über Bord. 


«Ich denke manchmal an dich. Eigentlich ziemlich häufig.»


«Etwas Bestimmtes?»


«Es sind Träume. Nein, eigentlich Phantasien. Von dir. Mit mir. Von uns.»


Ihre Stimme versagt. Sie spürt seinen warmen Atem in ihrem Nacken. Seine Hände auf ihrer Haut. Sie hält die Augen geöffnet und spürt seine Küsse überall auf ihrem Körper. Und seine Wärme.
Da im Mondlicht erwecken ihre Phantasien zum Leben. Seine Berührungen, sein Duft, sein Geschmack, sein Körper. Ihr ist alles vertraut. Sie schmiegt ihren Körper ganz an den Seinen. Und dann der Moment, auf den sie so lange gewartet hat. Auch dieses Gefühl ist ihr nicht fremd. Der Moment. Er ist lange. Länger als elf Minuten.