28. Februar 2013

Wertlos sein.

Ich gebe dir mein Wort. Es über die Lippen zu bringen fällt mir auch gar nicht schwer. Mein Wort, es ist ein Geschenk an dich. Hübsch verpackt mit Schleife. Doch irgendwann werde ich zurückfordern, was mir einst gehört hat. Ich werde mein Wort brechen, es in tausend Stücke reissen. All die Worte und leeren Versprechungen, die leer bleiben. Keine Gefühle und Handlungen, die sie lebendig machen könnten. Bald schon werden sie verblassen und in Vergessenheit geraten. Von Links nach rechts und von oben nach unten - überall werden sie verteilt. Die schön verpackten Worte. Der Honig fliesst und die Lippen schmecken süss. Zu süss. Zurück bleibt eine klebrige Masse. Die Lippen bleiben geschlossen. Kein Widerspruch, keine Auflehnung. Stummes hinnehmen. Die leeren Worte haben gewonnen. Was bleibt ist der unangenehme Nachgeschmack, denn ändern wird sich nichts. 

27. Februar 2013

Ausgespielt sein.

Den Stock hat er im Wald gefunden. Mit glänzenden Augen und voller Stolz trägt er ihn durch das Dorf. Ein einfacher Stock, dem manch einer keine Bedeutung beimessen würde. Doch für ihn wird das Fundstück in den nächsten Tagen etliche Wandlungen durchmachen. Einmal Zauberstab und Musikinstrument, später Kanone und Gewehr, dann wieder ein imaginären Waldgeist. Es ist ein Spiel. Und er wird lernen, wo das Spiel endet und an welche Regeln er sich in diesem Spiel zu halten hat. Er geht in diesem Spiel auf, entdeckt seine Stärken, gewinnt Vertrauen. Sein Freund wohn ein Dorf weiter. Beide würden hierzulande kurz vor der Einschulung stehen. Sein Freund hat keinen Stock gefunden. Fiktive Figuren erfindet er keine mehr. Er hat das Spiel verloren. Ihm wurde das Gewehr in die Hände gedrückt. Mit leerem Blick und voller Angst schleift er die Waffe durch das Dorf. Die Last ist in vielerlei Hinsicht zu schwer für ihn. Ein einfaches Gewehr, das in den nächsten Tagen keine Wandlung durchmachen wird. Es wird immer ein Gewehr bleiben. Wird Unheil anrichten. Er wird lernen, dass er tun muss, was ihm befohlen wird, selbst wenn er auf seine Familie zielen muss. Und auch, wenn er seinen Freund erschiessen soll. Er, der vielleicht gerade am Zaubern war. Doch kein Zauberspruch der Welt wird an der Tatsache etwas ändern. Weder die Waffenloby, noch Verbrecher wie Joseph Kony verstehen die Sprache dieser kleinen Zauberer. Menschlichkeit bleibt für sie ein Fremdwort. Sie werden weiter gedankenlos ihre Waffen verkaufen, Kinder vergewaltigen, ihnen Gewehre in die Hände drücken oder sie als menschliche Schutzschilder missbrauchen. Sie missbrauchen diese Kinder, die gar keine Kinder mehr sind. Wir haben sie geschaffen und wir vernichten sie.

22. Februar 2013

Fassungslos sein.

Originalbild: M. Damian
Er steht da. Fassungslos. Er sucht verzweifelt nach zwei Augen, in die er schauen kann. Augen, die ihm seine Angst mildern könnten. Plötzlich lag sie auf dem Fussboden. Regungslos. Er bittet sie aufzustehen. Doch sie bewegt nur langsam den Kopf hin und her. Er ruft die Ambulanz. Die Minuten verstreichen und sie liegt noch immer auf dem Fussboden. Minuten, die sich anfühlen wie Stunden. Die Zeit steht still und nichts geschieht. Er steht nur da. Fassungslos. Dann endlich sind sie da. Erfassen die Situation. Sie wird zum Krankenwagen gebracht. Sie schaut ihren Mann an. Flehend. Bittend. Verzweifelnd und voller Angst. Sie schaut in seine Augen. Augen, die vor Hilflosigkeit nichts mehr fokussieren können. Die Erinnerungen ziehen vorbei. Sie schieben sie mit der Bahre in den Wagen. Er steht da. Fassungslos. Man bittet ihn einzusteigen. Und er weiss nicht, ob dies die letzte Reise sein wird, die sie gemeinsam antreten werden.

21. Februar 2013

Es muss Liebe sein.

Originalbild: Pendragon
Er steht vor ihr. Sie sieht ihn das erste Mal. Die Kälte in seinem Blick erinnert sie an ihre Brüder, ihren Vater und ihren Onkel. Er soll es sein. Der Mann ihres Lebens. Sie wird nicht nach ihren Träumen gefragt, geschweige denn nach ihrem Willen. Ihr Leben ist nicht ihr eigenes. Es ist das der Anderen. Freiheit kennt sie nur von Erzählungen, das Gefühl bleibt ihr verborgen. Der Wunsch nach Freiheit wird nicht geduldet und ihre Stimme wird immer leiser. Jeder Aufschrei zieht Folgen mit sich. Schmerzhafte. Unterdrückung und Gewalt beherrschen ihren Alltag. Die Liebe findet bei dieser patriarchalischen Moral keinen Platz. Menschen stehen im Zentrum und doch ist die Unmenschlichkeit an vorderster Front. Sie leistet keinen Widerstand. Sie trägt das Bild ihrer Freundin für immer mit sich. Ihre Freundin war 15. Sie wollte frei sein. Ihren Wunsch verletzte die Ehre ihrer Familie. Man fand sie im Wald. Alleine. Ist sie nun frei?

18. Februar 2013

Planlos sein.

Er sitzt am Tisch. Der Plan liegt vor ihm. Er zeichnet mit leichter Hand. All die Dinge bekommen ihren Platz zugeteilt, selbst die Topfpflanze hat einen festen, auserlesenen Standort. Die Präzision der Linien, die durchdachte  Aufteilung und das Ausschöpfen jedes Winkels zeugen von minutiöser Planung.
Er sitzt am Tisch. Denkt an den gestrigen, ausserplanmässigen Abend. Er legt den Stift beiseite und nimmt das Papier in seine Hände. Zurück bleibt ein Papierball. Er gehört hier nicht mehr hin. Grund und Boden haben Risse. Der Raum bleibt verschlossen, er hat ihn sich selber genommen. Er bleibt allein, sein Platz war hier. 

17. Februar 2013

Im Zwischenraum sein.

Originalbild: T. Bachmann
Nicht mehr hier und noch nicht dort. Anderswo. Im Raum dazwischen. Zwischen hier und dort. Im Aufbruch. Zwischen alt und neu. Ein Leerraum. Ein Raum, unbewohnt und fremd und doch so warm. So viel Leben, selbst wenn die Bücher in den Regalen, die Bilder an den Wänden und der Duft vom Alltag noch fehlen. In diesem Raum ist nichts. Und doch alles. Hier geh ich nicht mehr weg.

12. Februar 2013

Formlos sein.

Das grelle Licht verwehr ihm die Sicht. Blind vor Wut, Angst und Trauer hastet er scheinbar ruhelos durch die Dunkelheit. Sie lauert da draussen. An jeder Ecke und hinter jedem Winkel. Trotz stechendem Licht, bleibt seine Welt und ihre Wahrheit in der Dunkelheit verborgen. Er schliesst die Augen; die Finsternis folgt ihm nicht. Seine Sinne erwachen zum Leben. Er lauscht den vielen Silben, spürt das Pochen in seinem Innern. Selbst den Duft seiner Welt nimmt er wahr. Eintönigkeit liegt in der Luft. Die Facetten sind unlängst verflüchtigt. Er sieht sein Leben in seinen Konturen, fährt gedanklich jeder Linie nach. Eine beinahe formlose Silhouette. Die Linien halten den Berührungen nicht stand. Ein strukturlose, in sich nicht schliessende Figur. Für eine Ganzheit fehlen zu viele Stücke. Er hat ihnen die Leuchtkraft selbst entzogen. Er öffnet die Augen und springt.

8. Februar 2013

Zeitlos sein.

Das Rad der Zeit dreht sich. Unaufhaltsam jagt es mit rasantem Tempo durch die Strassen des Lebens. Die Vergangenheit zieht an uns vorbei, die Zukunft rückt näher. Vom Schwindel geplagt, wird der Ausstieg ein Ding der Unmöglichkeit. Wir rennen, eilen und hasten. Das Tempo zu drosseln erscheint uns unangebracht, denn jeder möchte der erste sein. Besser, schneller, schöner, mächtiger und reicher. Reich an Routine. Mächtig im Verleugnen. Schöner im Schein. Schneller im Resignieren. Besser im Verlieren.

7. Februar 2013

Visuell sein.

Wir müssen nicht erst lernen zu sehen. Zwar sieht ein Neugeborenes die Welt noch verschwommen, doch entgehen tut ihm nichts. Sein Entdeckungsdrang ist unersättlich. Erst mit der Zeit verlernen wir, unseren Augen zu trauen. Erfahrungen, Verletzungen, Angst und Dinge der Zeit verzerren den Blick. Wir sehen, was wir sehen wollen und können. Verschliessen die Augen vor Dingen und Menschen. Selbst unser Spiegelbild bleibt eindimensional. Unser Blick bleibt an der Oberfläche haften, wir projizieren oder schauen durch die Menschen hindurch. Wer wirklich vor uns steht sehen wir nicht. Der Wahrheit ins Gesicht zu blicken kann schmerzhaft sein. Oder Welten öffnen. Augen öffnen. Vertrauen schaffen.

6. Februar 2013

Befallen sein.

Wie Viren befällt sie ihn. Überträgt sich, vermehrt sich. Nistet sich ein im innersten Kern und verrichtet dort ihr Unheil. Sie schwächt. Fiebertrunken irrt er umher. Mit aufgeschlagenem Knie, verstauchtem Knöchel und kraftlosen Händen hält er sich an Menschen und Dingen fest, die ihm den nötigen Halt nicht geben können. Die Angst ist sein bester Freund. Und schlimmster Feind. Er möchte immun sein, doch käme dies einer Resignation gleich. Er will den Zug ins Leben nicht verpassen. Er findet den Ticketautomaten nicht. Der Zug fährt ein. Ab. Ohne ihn. Der nächste kommt bestimmt. Zu gegebener Zeit.

5. Februar 2013

Auf Irrwegen sein.

Ihre Runden im Garten dreht sie jeden Tag. Der Frühling kommt zum vierten Mal. Doch das Erwachen sieht sie längst nicht mehr. Sie läuft und läuft, sucht verzweifelt nach einem Weg. Einen Weg, auf den sie nicht mehr zurückfinden kann. Der Garten ist kein Labyrinth, doch für sie gibt es nur noch Irrungen und Wirrungen. Sie sucht nach ihrer Vergangenheit, nach einer Zukunft, sucht sich und andere - finden wird sie nichts. Eine harmlose Katze wird zum bedrohlichen Tiger. Bekanntes wird fremd. Die Angst sitzt tief. Angst vor den Tagen. Und den Nächten. Vor den Menschen und den Dingen. Vor sich selbst. Vor einem Leben, das nicht mehr ihr gehört.

Gleich sein.

Seine braunen Augen leuchten. Ein Schneeball trifft ihn am Kopf. Er lacht. Und revanchiert sich mit einem gekonnten Schuss. Sie raufen und lachen. Das Spiel endet, wenn einer Stopp sagt. Liegt einer am Boden, hilft ihm jemand auf die Beine. In diesem Spiel sind alle gleich. In ihrer Welt wird jeder einmal ausgeschlossen. Und das nächste Mal ist er wieder im Team. Ihre Welt ist voller Farbe. Und sie malen bunte Luftschlösser. Sie haben noch nicht gelernt, dass Hautfarbe, Herkunft, Religion oder die sexuelle Orientierung über Gut oder Böse entscheidet. Sie sind, wie sie sind. Und sie sind gut darin. Im Sein. 

1. Februar 2013

Verwehrt worden sein.

Die Steinplatten unter meinen Füssen bringen mich aus dem Gleichgewicht. Die unter ihnen liegenden Wurzeln haben sich ihren eigenen Weg gegraben. Auch meine Wurzeln liegen hier. Begraben zwischen all den fremden Namen und den dahinter verborgenen Geschichten. Blumen zieren die Erde vor meinen Füssen. Meine Gedanken sind oft hier, nur nicht dann, wenn ich tatsächlich hier stehe. Dann sind sie dort. Sie folgen dem Rauschen in der Ruhe. Der Wind weht. Kleine Windräder stecken in der Erde und drehen sich im Einklang mit dem Wind. Hie und da ein Spielzeug. Sie überkommt mich. Die Traurigkeit. Die Verzweiflung. Die Angst. All das Leben, das noch an seinem Anfang stand. Sie hatten kaum Zeit, sich ihren Platz auf der Erde zu suchen. Und nun sind sie hier, an diesem Ort. Sie hatten keine Wahl. Hier finden sie ihre letzte Ruhe, obschon die Ruhe wohl das Letzte war, was sie gewollt hätten. Es bleibt still. Nur die Windräder erinnern an den unbändigen Wunsch das Leben spielend zu erkunden. Ein Wunsch, der ihnen verwehrt wurde.