31. März 2013

Schutt und Asche sein.


Seit 730 Tagen lauscht sie den heulenden Klängen der Sirenen. Seit 730 Tagen blickt sie in das verzweifelte Gesicht ihrer Mutter. Seit 730 Tagen spürt sie, dass hier die Gefahr und der Schrecken hinter jeder Mauer lauert. Vor 730 Tagen hat sie das Licht der Welt erblickt. Eine Welt, in der mehr Dunkelheit als Licht herrscht. Eine Welt, die in Schutt und Asche liegt. Ihren ersten Geburtstag feierte sie im Bunker. Es gab Brot und Wasser. Niemand nahm ihr erstes Lächeln wahr, niemand streckte die Arme nach ihr aus, als sie die ersten wackligen Schritte wagte. In einer der Nächte, in dem sich der Himmel vom Feuer rot färbte und der Rauch in den Augen brannte, liessen sie alles zurück. Nicht einmal ihre Lieblingspuppe konnte sie mitnehmen. Doch sie hat in den 730 Tagen bereits gelernt, dass ihre Bedürfnisse in dieser Welt keinen Platz finden. Die Nacht war kalt und sie wurde von einem fremden Mann getragen. Ihrer Mutter fehlte die Kraft. Gegen Mitternacht erreichten sie den Lastwagen. Die Strasse war uneben und kurvig, es roch nach Erbrochenem. Sie fuhren die ganze Nacht und den kommenden Tag verbrachten sie in einem abgelegenen Haus. 
Nach Einbruch der Dunkelheit mussten sie weiter. Sie bestiegen das alte Boot. Niemand wehrte sich, als die Schlepper immer mehr Menschen einstiegen liessen. Keiner wollte zurück bleiben. Die Dunkelheit verschlang den Horizont. Es war alles schwarz. Morgen wäre sie zwei Jahre alt geworden. Sie erreichten das Ufer der griechischen Insel nicht. Ihre Lieblingspuppe wurde von einem kleinen Jungen am Strand gefunden. Ihre Mutter hatte sie doch noch mitgenommen. Vergebens.

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